Ein Schreibtipp von Horror-Autor M. P. Anderfeldt
Martin P. Anderfeldt arbeitet hauptberuflich als freier Werbetexter. In seiner Freizeit schreibt er, trinkt Cappuccino und rafft sich hin und wieder zum Sport auf. Er lebt in München.
Martin P. Anderfeldt arbeitet hauptberuflich als freier Werbetexter. In seiner Freizeit schreibt er, trinkt Cappuccino und rafft sich hin und wieder zum Sport auf. Er lebt in München.
Ohne Zweifel ist Horror ein echter Dauerbrenner in der Literatur. Millionen Leser kennen und lieben die schaurigen Werke von Stephen King, H.P. Lovecraft, Edgar Allan Poe oder E.T.A. Hoffmann.
Geschichten zum Gruseln sind aber keine Erfindung der Neuzeit. Es gibt jede Menge alte japanische und chinesische Geistergeschichten, die Märchen aus 1001 Nacht sind voller Stories von Ghulen und bösen Dschinn und in der griechischen Sage erlebt Odysseus unheimliche Abenteuer im Reich der Toten.
Wir gruseln uns eben einfach gern. Am Lagerfeuer beim Camping erzählen wir uns darum keine Romantasy oder Young Adult Geschichten (sorry, das musste sein), sondern grauenvolle Begebenheiten, in denen Affenpfoten, Wiedergänger und Axtmörder eine Rolle spielen.
Was Menschen als schaurig empfinden, lässt sich nicht pauschal sagen. Es gibt Geschichten, die den einen als bibberndes, nervliches Wrack hinterlassen, während sie einen anderen völlig kalt lassen. Und das hat nichts damit zu tun, wie »blutig« oder »brutal« die Geschichte ist.
Ob man sich für ein bekanntes Sujet entscheidet, etwa Vampire oder Gespenster, oder etwas völlig neues entwickelt, bleibt jedem selbst überlassen. Denkt man sich etwas völlig Neues aus, so hat man die absolute Freiheit, sich die »Regeln« dieser Welt auszudenken, man muss aber auch mehr erklären. Wenn ich »Vampir« schreibe, hat jeder Leser bereits ein Bild im Kopf, handelt meine Story dagegen von Möbelstücken, welche die Menschen ihrer Lebensenergie berauben, muss ich etwas weiter ausholen.
Bekannte Stoffe bergen aber auch das Risiko, derart von populären Vorstellungen und Bildern überlagert zu sein, dass es schwierig wird, sie abzuschütteln. Es kann eine echte Herausforderung sein, eine Zombie-Geschichte zu schreiben, die ganz anders funktioniert als The Walking Dead oder eine Vampir-Story, die nicht von schönen, blassen Vampiren handelt, wie Biss zum Morgengrauen. In diesen Fällen muss man gegen die Erwartungshaltung des Lesers anschreiben. Das ist schwierig, kann aber reizvoll sein, denn den Leser zu überraschen ist oft der erste Schritt zum Gruseln.
In seiner ursprünglichen Bedeutung bezeichnet das Wort »unheimlich« den Gegensatz zum germanischen Wortes »heim«. »Heim« steht dabei für das, was uns vertraut ist: Zuhause, Heimat, Familie.
Dagegen ist »unheimlich« all das, was diesem Gefühl des Vertrauten entgegensteht – etwas Fremdes, Irritierendes, Verstörendes.
Damit dieses Element richtig zur Geltung kommt, müssen wir erst einmal das »heim« etablieren. Es ist kein Wunder, dass Horrorgeschichten selten in völlig fremden Welten spielen, sondern fast immer in einer vertrauten, friedlichen Umgebung angesiedelt sind. Die Hauptfiguren sind meist ganz normale Personen. Ich habe das Gefühl, sie sind sogar oft besonders sympathisch, ihre Familien besonders glücklich.
Das liegt daran, dass der Leser sich mit der Hauptperson identifizieren sollte. Wenn ihn ihr Schicksal egal ist, warum sollte er weiter lesen? Eben.
Das heißt nicht, dass der Protagonist ein Langweiler oder ein Unschuldslamm sein muss. Es kann auch ein Massenmörder sein. Wenn möglich, beschreibe aber einen sympathischen Massenmörder.
Die Hauptfiguren in Horrorstories sind meist auch darum nett, weil so ein Kontrast zum Unheimlichen geschaffen werden soll. Mach also ruhig die Klischeekiste auf, lass deine Protagonisten romantische Dinge tun und lass sie einander sagen, wie sehr sie sich lieb haben.
Der Gegenspieler (der natürlich keine Person sein muss) kann einen übernatürlichen Ursprung haben, aber er kann auch ein echter Mensch oder ein real existierendes Wesen (oder eine Naturgewalt) sein. Sinnvoll ist sicher, wenn in der Geschichte von Anfang an klar ist, welche Regeln gelten. Wenn auf 200 Seiten ein packender Kampf um Leben und Tod zwischen einem Krokodil und einer Familie auf einem Boot entbrennt, wäre es komisch, wenn sich der Familienvater auf Seite 201 in einen Superhelden verwandelt.
Die beste Methode, um Angst zu erzeugen, ist das Spiel mit Urängsten. Unter diesem Begriff verstehe ich hier dem Menschen angeborene Ängste, wie etwa die Furcht vor der Dunkelheit, vor dem Alleinsein oder vor wilden Tieren. Es ist kein Wunder, dass so viele Horrorstories mit genau diesen Ängsten spielen.
Es kann auch interessant sein, den Protagonisten sein ganz persönliches Trauma erleben zu lassen. Ihn mit engen Räumen zu konfrontieren, weil wir wissen, dass er unter Klaustrophobie leidet, oder den armen hohe Türme hinauf zu hetzen, weil er unter Höhenangst leidet. Dabei ist es sicher am erfolgversprechendsten, die Ängste zu nehmen, die eine Mehrheit der Leser nachvollziehen kann. Andererseits: Eine gruselige Geschichte über einen Protagonisten zu schreiben, der unter Anthophobie* leidet, ist sicher eine echte Herausforderung!
Nicht zufällig sind die meisten »gruseligen« Werke von Poe, Lovecraft und Hoffmann eher kurz. Horror ist mit Sicherheit ein Genre, das sich besonders gut für Kurzgeschichten eignet. Es ist schwierig, das unheimliche Gefühl über mehrere Tage oder Wochen aufrecht zu erhalten und in den Alltag des Protagonisten zu »hinüber zu retten«.
Möglich ist es natürlich schon, Stephen King hat ja neben hervorragenden Kurzgeschichten auch das eine oder andere etwas längere Buch geschrieben.
Und jetzt losgeschrieben. Oder erst einmal losgeplottet! Ich wünsche dir viel Spaß beim Schreiben. Und nicht vergessen: Alles, was ich hier als Regeln und Empfehlungen geschrieben habe, ist dazu da, umgeworfen zu werden.
* Anthophobie ist die krankhafte Furcht vor Blumen.